Frankreich begeht jährlich feierlich l’armistice, den Jahrestag der Beendigung des 1. Weltkrieges. Aus diesem Anlass reiste Bürgermeisterin Sabine Löser mit dem Vorsitzenden des Vereins für Städtepartnerschaften der Gemeinde Rüdersdorf bei Berlin, Patrice Bernard, auf Einladung des des dortigen Bürgermeisters in die Partnergemeinde Pierrefitte sur Seine und legte gemeinsam mit Amtskollegen Michel Fourcade Blumen am Mahnmal für die gefallenen Soldaten nieder. Der Zeremonie geht stets ein Marsch vom Rathaus zum Friedhof voraus, der von Kindern und Musikern eindrucksvoll begleitet wird. Tradition findet ein anschließender Empfang für verdiente Bürgerinnen und Bürger statt, an dem auch Mathieu Hanotin teilnahm, der Bürgermeister von Saint-Denis. Beide Städte am Rande von Paris haben eine Fusion beschlossen und die Bürgermeister betonten, dass dies an der 60 jährigen Freundschaft unserer Kommunen nichts ändern werde. Sie wird gelebt von den Menschen, nicht von der Administration und seit Jahren auf Rüdersdorfer Seite vom Verein für Städtepartnerschaften aktiv gefördert.
„Von der Herzlichkeit und Gastfreundschaft konnte ich mich einmal mehr überzeugen,“
so Sabine Löser, die sich mit dem Verein für Städtepartnerschaft auf den Gegenbesuch Anfang Dezember freut. Die kleine Delegation wird dann mit unseren Vereinsmitgliedern die Festlichkeiten zum 60. Jahrestag vorbereiten.
„Der Austausch und das Miteinander der Menschen über Grenzen und Sprachbarrieren hinweg, das ist es, was mir hilft, die Hoffnung auf eine friedliche Welt zu bewahren.“
Nachfolgend wird die Rede der Bürgermeisterin zur Gedenkveranstaltung veröffentlicht. Es gilt das gesprochene Wort:
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde aus Pierrefitte-sur-Seine,
Ich freue mich, dass Sie mir erneut die Gelegenheit geben, anlässlich des Jahrestags zum Ende des 1. Weltkriegs heute hier bei dieser eindrucksvollen Gedenkveranstaltung sprechen zu dürfen.
Noch immer erinnere ich mich gern an Ihre Einladung und den herzlichen Empfang bei meinem ersten Besuch im Jahr 2021 hier in Pierrefitte-sur-Seine. Die Gastfreundschaft, die Herzlichkeit und Offenheit zeigen mir, wie wichtig Austausch und Zusammenhalt sind – trotz, nein, gerade wegen der vielen brutalen, schmerzhaften und grauenvollen Auseinandersetzungen, die unsere Nationen in den vergangenen Jahrhunderten erlebt haben und bei denen Deutschland als Aggressor auftrat.
Ähnlich erlebe ich es auch mit unseren Städtepartnern aus Santok in Polen. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs verschwand Polen als souveräner Staat vollständig von der Landkarte Europas. Polen wurde aufgeteilt von seinen aggressiven Nachbarn. Im 2. Weltkrieg wurden sie erneut zwischen Hitler und Stalin imperialistisch zerrissen und vom Krieg brutal überrannt. Dennoch werden wir auch in Polen heute als Freunde empfangen.
Dies sind wunderbare Zeichen des Zusammenhalts, des Wachsens eines friedlichen, weltoffenen und toleranten Europas – Zeichen von Respekt und freundschaftlichem Miteinander.
Und doch scheint diese Selbstverständlichkeit, die wir nach 1945 errungen haben und die nach dem Ende des Kalten Krieges 1990 unerschütterlich und für ewig gegeben schien, heute so bedroht und fragil zu sein wie lange nicht mehr.
Im Osten Europas tobt seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 erneut ein offener Krieg – mit harten Stellungskämpfen und leider ohne Aussicht auf ein baldiges Ende. Parallelen – ich hoffe der Vergleich sei mir gestattet – drängen sich auf, wenn ich an die langen, sinnlosen und verlustreichen Stellungskämpfe des Ersten Weltkriegs denke, bei denen gerade Ihre Nation, liebe Französinnen und Franzosen, so unermesslich viele Opfer bringen musste. So viele junge Männer, deren Leben in sinnlosen Kämpfen und als Folge gescheiterter Diplomatie und übersteigerter Machtansprüche geopfert wurden.
Und heute? Haben wir daraus gelernt?
Nicht nur, dass wir in Europa, im Nahen Osten und in viel zu vielen Regionen dieser Erde wieder endlose, brutale und zutiefst menschenverachtende Kriege erleben – mehr noch beunruhigt mich, dass radikales und nationalistisches Gedankengut erneut um sich greift und sich in Wahlergebnissen widerspiegelt. Dass in großen Nationen wieder Regierungschefs an der Macht sind, die nationale Interessen über alles andere stellen, deren Politik auf Selbstinszenierung beruht und die bereit sind, gesellschaftliche Fortschritte zurückzudrehen. Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, müssen erneut Angst haben.
All das erfüllt mich mit Sorge.
Aber ich habe auch Hoffnung. Diese Hoffnung speist sich aus genau solchen Momenten des Gedenkens wie dem heutigen.
Dass Sie heute hier sind, dass Sie die Erinnerung wachhalten und uns mahnen, welche schrecklichen Folgen Nationalismus und Krieg haben. Welche Opfer sie fordern und welch unschätzbaren Wert Frieden besitzt. Das macht mir Mut.
Und es sollte uns allen Mut machen.
Lassen Sie uns heute gemeinsam erinnern – und lassen Sie uns an die Werte eines offenen Europas, an den Zusammenhalt und die Freundschaft unserer Nationen glauben. Lassen Sie uns diese Werte täglich mit Leben füllen: indem wir jungen Menschen ermöglichen, andere Länder und Kulturen zu entdecken, indem wir uns austauschen und offen bleiben für andere Meinungen, Lebensweisen und Ansichten, indem wir erkennen, dass Krieg, Hass und Zerstörung niemals die Antwort, sondern immer das größte menschliche Scheitern sind.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

