„Heimgehtippelei“ von der freireisenden Tischlerin Jeanine Morack aus Berlin

Die Wanderjahre, auch als Walz, Tippelei oder Gesellenwanderung bezeichnet, beziehen sich auf die Wanderschaft zünftiger Gesellen. Sie umfassen die Zeit des Wanderns der Gesellen nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit (Freisprechung). Die Wanderschaft war seit dem Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung eine der Voraussetzungen für den Gesellen, die Prüfung zum Meiser zu beginnen. Die Gesellen sollten vor allem neue Arbeitspraktiken, Lebenserfahrung und fremde Orte, Regionen und Länder kennenlernen. Ein Handwerker, der sich auf dieser traditionellen Wanderschaft befindet, wird als Fremdgeschriebener oder Fremder bezeichnet.

Unsere Gemeinde Rüdersdorf bei Berlin hatte am Mittwoch, den 05.05.2010 plötzlich unangemeldeten Besuch: 6 Frauen, die auf Wanderschaft waren und immer noch sind. Sie haben alle ein Handwerk erlernt und sich als Gesellinnen auf den Weg gemacht, andere Länder kennen zu lernen und dort zu arbeiten.

Daria ist seit 3 Jahren auf der Walz. Sie kommt ursprünglich aus der Schweiz und ist gelernte Winzerin. Die 2. im Bunde ist Bine, sie ist seit 1,5 Jahren eine fremde Freireisende und kommt aus Koblenz. Aus Franken stammend ist Almuth, die ebenfalls seit 1,5 Jahren vereinslos auf Wanderschaft ist. Jeanine war 5 Wochen auf einem Dreimaster in der Karibik unterwegs und hat dort die Restaurationsarbeiten des Decks der „Martinique“ durchgeführt. Insgesamt ist sie 5 Monate auf dem Meer mit dem Schiff bis nach Venezuela „mitgeschippert“. Dort hat sie viel erlebt und kehrte nun an diesem Wochenende nach 4,5 Jahren Reisezeit wieder heim nach Berlin zu Ihrer Familie. Nathalie ist eine der 2 Begleiterinnen der jungen Frauen. Sie schon vor längerer Zeit heim gekehrt. Sie ist somit eine „einheimische“ Tischlerin. Regina ist Schwäbin und eine „einheimische“ Tischlerin wie Nathalie. Das heißt, sie ist nach 3,5 Jahren auch heim gekehrt von Ihrer Reise und begleitet nun Jeanine auf ihrem Weg nach Hause.

Üblich ist es allein zu reisen, das tut man auch die meiste Zeit, so berichten die Wanderinnen. Dennoch trifft man sich – manchmal auch zufällig – zu Wandergesellinnentreffen, welche zur Verknüpfung mit gemeinsamen Baustellen dienen. Ein weiterer Zweck ist, neue Projekte zu besprechen und zu planen, sowie Erfahrungen aus zu tauschen. Ein erfahrender Wandergeselle leitet immer die neuen Gesellen ein. Das bedeutet, sie werden in der ersten Zeit ihrer Reise begleitet und der Erfahrende legt fest, wie lange sie reisen. Es sind aber mindestens 2 Jahre und 1 Tag vorgeschrieben oder mehr, erzählte uns eine der Wanderinnen. Große Strecken kann man per Anhalter zurücklegen, aber meistens wandert man zu Fuß und beschränkt sich daher nur auf das nötigste Gepäck. Beliebte Ziele sind Österreich, Dänemark und England. Daher muss man die englische Sprache schon beherrschen und spanisch sowie französisch sind vorteilhaft und hilfreich, gerade wenn man weiter entfernter Ziele ansteuert. Von der Gemeinde Rüdersdorf bekamen sie ein kleines Wegegeld mit auf die Weiterreise und den Stempel in ihr Wandertagebuch sowie ein kleines Notizbuch als Erinnerung, in dem sie dann neue Begebenheiten niederschrieben können.

Die Reiselust zu stillen, Abenteuer zu erleben und gleichzeitig mit der Arbeit, dem erlernten Handwerk zu verbinden, ist für die Frauen das „schlagende“ Argument für die Wanderschaft!